Die Dynamik des Sehens
Bestimmendes Element meiner Arbeit ist die Skepsis gegenüber offensichtlichen Realitäten und gewohntem Raumgefühl.
Meine Objekte bewegen sich dabei frei zwischen Wahrnehmungstheorie, Wissenschaft und Architektur. Sie durchbrechen oder verzerren den Raum unter anderem mit Stahl, Glas, Gitter und Licht. Sie bringen ihn aus dem Gleichgewicht oder forcieren seine Labilität.
Stabilität und Ordnung werden zu Gunsten eines mentalen Ortes physisch und psychisch verschoben oder außer Kraft gesetzt. So verändern unter anderem architektonische Viren und imaginäre Erdbeben die Tektonik des Raums. Der Raum zeigt sein Potential.
Abstrakte, geometrische Formen wechseln mit Fotografie, mischen sich mit Hightech-Materialien, Baustoffen oder Alltagsgegenständen, die die Stadt bereits verdaut hat. Projektionen, Reflektionen und Schatten zerlegen Oberflächen und Raum.
Spalten, Brüche und Fragmente zeigen permanente Illusion und Mutation.
Wahrnehmung und Ort treffen auf ein subversives, flexibles Chaos, das den Raum und die Gewohnheiten des Sehens aufbricht.
Derrière le jour / Berlin, 2009 /
Série les portes par Claudia von Funcke
Surfaces de verre qui s’entremêlent. Pourtant elles ne se touchent pas. Notre regard donne la cohérence de l’ensemble, mais le point de vue n’est jamais le même.
L’œuvre évolue avec le déplacement du spectateur et la lumière qui l’irise.
Tantôt la bande rouge inonde la surface comme une blessure à vif qui dégouline. La douleur lancinante s’accroche alors aux arrêtes du panneau des bouteilles de vodka du Victoria Bar. Le verre se fait tranchant comme un piège qui se referme sur nous.
Tantôt la bande rouge passe inaperçue. La masse compacte des bocks de bière tient l’ensemble. Elle masque presque tous les autres éléments. Elle nous offre une perspective solidement ancrée dans la certitude de l’existence et devient alors une porte transparente qui nous plonge dans l’au-delà de sa matière. Elle nous apaise et nous protège de la descente abyssale.
Quand la première plaque sérigraphiée capte l’œil, tout le reste disparaît comme à l’arrière-plan. L’ombre noire de la grande ville nous absorbe. Les verres frémissent comme des illuminations à la tombée de la nuit.
L’œuvre de Claudia von Funcke, Derrière le jour, est un labyrinthe feuilleté qui s’expose à notre vue. Le mouvement autour de cette pièce d’acier et de verre lui confère-t-il pour autant sa réalité ? La fulgurance de la création donne-t-elle une unité à cet ensemble qui s’éparpille et se recompose dans nos regards ? A l’instar des monades de Leibniz, notre imaginaire n’existe pas en dehors de cet agrégat : cette porte est l’ensemble de nos perspectives. Elle n’a de cesse de représenter des multitudes. Toutes les lignes se réunissent dans le point de fuite.
Notre existence paraît si lisse. Si bien ordonnée. Pourtant le soir venu, dans la nuit berlinoise, les néons d’un bar accueillent notre errance. Les verres s’entrechoquent dans une festivité parfois factice. Si nous tombons à la renverse, nous nous écorchons bien vif. Le sang coule. Nous n’avançons pas seuls. Lentement ces morceaux se réajustent en une belle composition. Nous sommes tour à tour cet être qui souffre et cet être social brillant. Derrière le jour, nous persévérons dans notre existence.
Pascale Laborier, Paris, 2013
Fotoserie MOVING STAIRS – Ausstellung "verquer" im Frauenmuseum Berlin
Claudia von Funcke zeigt großformatige Farbfotografien aus der Serie MOVING STAIRS. Entstanden sind die Aufnahmen 2011 im leer stehenden, ehemaligen Kaufhaus Hertie in Berlin in der Hauptstraße. Die Künstlerin war fasziniert von den Gegebenheiten, dem maroden und sich im Verfall befindenden Zustand. Alte verlebte Gebäude und "wenn nicht alles so glatt ist", das fasziniert sie und findet in ihren Arbeiten immer wieder eine Plattform. Die entstandenen Fotografien sind eigenständige künstlerische Arbeiten, die über das rein Dokumentarische weit hinausreichen.
Claudia von Funcke ist Bildhauerin, die in ihren dreidimensionalen Arbeiten viel mit dem Material Glas, mit Spiegelungen und Brechungen spielt. Auch die Fotografie ist als gestalterisches Mittel in ihrem Werk präsent – häufig in Form von Projektionen, die sie auf strukturierte Hintergründe projiziert und/oder übereinander blendet. Sie arbeitet mit verschiedenen Wahrnehmungsebenen und stiftet dadurch ein Stück weit bewusst Verwirrung. Irritation ist in ihrer künstlerischen Arbeit ein wichtiges Thema.
Die Aufnahmen, die wir hier sehen – keine Fotomontagen! – sind nun ganz "klassische" Fotografien – Prints, die in ihrer Ausdehnung auf die Fläche begrenzt sind. Doch was in ihnen stattfindet, sprengt den klar definierten Rahmen.
Entstanden sind die Fotografien im Rolltreppenschacht des Kaufhauses. Wir haben es hier mit einem Raum zu tun, aber – wie man sofort erkennt – mit einem stark beschnittenen, fragmentierten Blick darauf. Und man braucht eine Weile, um sich darin zurecht zu finden, um diesen fragmentierten Raum rekonstruieren zu können – wenn es denn überhaupt gelingt.
Das Auge sucht sich Bezugspunkte, an denen es sich orientieren kann, von wo aus sich der Rest des Raumes weiterdenken lässt – wenn es sein muss, auch über den Bildrand hinaus … eine Vertikale, eine Horizontale, eine Säule, ein Element, das dem Abgleich mit unserer Vorstellung von physikalischen Gesetzen standhält. Es ist vor allem auch eine Leistung unseres Gehirns – und gerade diese ist es, die die Künstlerin interessiert. Nicht zufällig hat sie sich auch mit Gehirnforschung beschäftigt.
Die am einfachsten zu "entschlüsselnde Aufnahme" ist sicher ESCALATOR. Es fällt uns nicht schwer, uns vorzustellen, dass wir selbst auf dieser Rolltreppe stehen, die uns nach oben bringt. Wir halten uns vielleicht am Handlauf fest, der rechts diagonal in den Bildraum schneidet.
Sehr viel schwieriger wird es bei den Aufnahmen, die durch Ocker- und Gelbtöne und weiße Leisten dominiert werden. Diese weißen Linien bilden Umrandungen und teilen die Bilder in Felder auf. Aus der Ferne gesehen, stellt sich der Eindruck von Intarsienarbeit ein, eine Assoziation, die sich unter anderem aufgrund der dominanten Holzflächen ergibt. Bei näherer Betrachtung jedoch stürzt der Blick in manchen Feldern unvermittelt in die Tiefe, die Flächigkeit der Fernwirkung verwandelt sich zur Räumlichkeit. Vor allem die unterschiedlichen Winkel der Spiegel zueinander sorgen für Irritation. Was spiegelt sich worin? Wo stehen wir als Betrachter? Anhand der weißen Leisten und der Vertikalen gelingt uns aber doch hin und wieder, zumindest teilweise, eine räumliche Verortung.
Schließlich völlig aus dem Lot geraten zu sein scheint dagegen die Aufnahme FALLING STAIRS. Der Titel ist buchstäblich zu verstehen. Die Rolltreppen scheinen ins Bodenlose und aus dem Bild zu stürzen – ein unbehagliches Gefühl stellt sich ein. Da hilft auch kein Festhalten am Handlauf mehr.
Die physikalischen Gesetze perspektivischer Wahrheit sind aus den Angeln gehoben. Was ist oben, was ist unten, was ist "real", was ist Spiegelung ¬? Als Betrachter jedenfalls scheint man regelrecht in der Luft zu schweben, es wird einem "schwindelig beim bloßen Zusehen".
Hauptakteure der Bilder sind die Rolltreppen – so zumindest suggeriert es der Titel MOVING STAIRS. Doch wir sehen von ihnen nur Bruchstücke, fragmentarische Schnipsel, ohne Anfang und Ende, noch dazu so gut wie ausschließlich als Spiegelungen.
Und gerade diese Spiegel sind auch das zentrale Element in den Fotografien. In der Architektur werden Spiegel häufig eingesetzt, um Räume optisch zu vergrößern. Mit dem Begriff "Spiegel" assoziieren wir jedoch noch sehr viel mehr: Objektivität und wahrheitsgetreue Wiedergabe, aber ebenso Eitelkeit oder optische Täuschung. Vor allem letzteres ist auch sein Part im "Verwirrspiel" um die "richtige oder falsche Perspektive" in diesen Fotografien: Er zerlegt den Raum vor unseren Augen in Fragmente – einem Spiegelkabinett gleich, in dem man leicht die Orientierung verliert und beim Blick ins Bild regelrecht selbst physisch ins Wanken kommt.
All das trägt dazu bei, dass wir am Ende mehr als verwirrt sind, und vielleicht gerade deshalb umso faszinierter vor diesen Fotografien stehen, die uns Rätsel aufgeben und die wir unbedingt lösen wollen. Zu dieser Faszination mag aber auch – neben allem "wahrnehmungspsychologischen Theoretisieren"– das fotografierte Objekt selbst beitragen: das leer stehende Kaufhaus. Es ist bekannt, dass heruntergekommene, marode Gebäude uns häufig anziehen. So hat auch dieses Kaufhaus seine ganz persönliche Note und verweist noch auf ein Phänomen: Erst jetzt, sinn- und menschenentleert, wird dieser Rolltreppenschacht mit seiner verspiegelten Besonderheit sichtbar. Wer hat schon vorher, bei all dem Menschentrubel, auf die Möglichkeiten dieser Spiegel geachtet?
In den leeren Räumen finden sich überall noch menschliche Spuren, die einerseits von der einstigen Geschäftigkeit, andererseits aber auch von der bereits begonnenen Demontage zeugen. Abgenutztes Laminat, ins Leere hängende Kabel, eine nicht weg gekehrte tote Fliege, Glaswolle, die hinter den abmontierten Wandpanelen sichtbar wird, die uns letztendlich, trotz aller "Täuschungsversuche", daran erinnern, dass wir hier trotzdem ein Stück Wirklichkeit vor uns haben. Wir werden durch diese Details also in die Wirklichkeit zurückgeholt – und damit auch auf den Boden der Tatsachen hier in der Galerie.
Karin Lelolek, Auszug aus dem Vortag anlässlich der Ausstellung "verquer" im Frauenmuseum Berlin, 2012
Defekte Wahrscheinlichkeit - Die Rache der ausgeschlossenen Möglichkeiten
Wie wahrscheinlich ist die Vergangenheit? Unwahrscheinlich. So könne man das allerdings nicht betrachten. Ha! Was Schwung nimmt, sich abstößt! Was sich der Drehtür entringt, ein blendender Seufzer, ein Blitz, schon gewesenes Licht. Ich habs genau gesehn, da waren Reflexe. Als setze die Tür mit jeder Drehung eine neue mögliche Vergangenheit frei: die Rache dessen, was auch hätte sein können, aber ausgeschlossenen worden ist. Bald schon drängen sich im Foyer unwahrscheinliche Potenziale und suchen sich Körper aus - unter den ahnungslosen Gästen des Hauses, die in Grüppchen herumstehn und plaudern. Ein Etuikleid vielleicht, oder etwas ohne Hüllen, Träger oder Säume. Vermehrt dreht die Tür lebensechte Parallelen unter die Anwesenden. Ressource Realität! Das geotaktisches Vermögen, der heile Verstand! Die Stimmung zu ebener Erde scheint zu kippen. Es wird knapp (nein, nicht was sich rächt, wird knapp, wir werden es: knapp).
Also nehmen wir den Paternoster und gelangen in den ersten Stock. In diesem postfreudianischen Traum sind die Analytiker aus ihren Zimmern vor die Schwelle getreten und klappern mit den Türen. Es scheint sie in Freude zu versetzen, sich so auf dem Flur zu versammeln, für einen Splitter Wahrscheinlichkeit, und zu rappeln, immer schneller, immer in Richtung Trance. Die Klinken lassen sie schnappen, drücken sie hinab, sie schnappen wieder. Wie das rappelt.
Es handelt sich wohl um das Motiv der Kästchenwahl, vermuten die erstaunten Analysanden, die sich nun, nicht länger schläfrig, von ihren Sofas erheben. Türen aus Gold, aus Silber und aus Blei. In jeder steht die Idee einer Braut, wie gerahmt. Oder die Braut einer Idee? Dazwischen rappeln die Analytiker, die inzwischen eine Vorform von Raserei erreicht haben. Manchem Analysand gelingt es, unter ihren Armen oder durch ihre Beine hindurch auf den Flur zu huschen, wo sie sich treffen, Prognosen austauschen. Man einigt sich: Die Wahl muss auf die dritte fallen. Es ist die aus Blei, die liebt und schweigt. Sie bringt das Glück. Ihr Teint ist von der paleness des Bleis. Blöd ist nur, dass sie tot, respektive der Tod ist. Dass man sie wählen kann und sie zudem die Schönste ist, scheint ein durch Wunschverwandlung entstelltes Arrangement zu sein, in dem das Schicksal zur Wahl umgelogen wird, wie im Märchen. Doch: "Die freie Wahl zwischen den drei Schwestern" - verschwisterten Türen - "ist eigentlich keine Wahl, denn sie muss notwendigerweise die dritte treffen, wenn nicht (...) alles Unglück aus ihr entstehen soll." Ja. Schon sieht man sie quellen, aus den überlasteten Angeln, böse Geister aus Montageschaum. Und plötzlich ist es still, still im blassblauen, schweißnassen Sinn. An einem Sakko fehlt ein Knopf. Die Sitzung, heißt es, sei beendet.
Es schließen sich 400 Türen, ein gewisser Prozentsatz aus Blei. Die Analysanden halten das Geschehene für zutiefst unwahrscheinlich und nehmen den Paternoster in das Foyer, wo sie sich unter die durchschlüpften Gäste mischen. Jetzt wissen es alle: Der Raum hat Potenzial.
Monika Rinck, Katalog: defekte wahrscheinlichkeit, 18m Berlin, 2008
(...) Mit der Verleihung des Hauptpreises an die Münchner Bildhauerin Claudia von Funcke honorierte die Jury die kraftvolle Gestik, mit der die Künstlerin ihre großformatigen Arbeiten dem Umraum entgegenstellt. Elemente aus verschmolzenen gebogenen Glasscherben werden einem klar strukturierten Rahmenwerk eingebunden, das an komplexe Antennenanlagen denken lässt. Chaotisches wird gebändigt, und in der Durchsicht werden geläufige Wahrnehmungsformen gebrochen. Die Jury wertete die Objekte als stark zeitbezogene Gestaltungen mit vielschichtigen Deutungsebenen. Insbesondere deren Potential für die Kombination mit moderner Architektur könnte Möglichkeiten für die weitere Entwicklung bieten.(...)
Helmut Ricke, Neues Glas/New Glass, 1/1997